rebequa® im Interview:


Künstliche Altersgrenzen überwinden

Interview mit Wissenschaftsjournalist Björn Schwentker über den aktuellen demographischen Diskurs

Demographie-Experte Björn Schwentker

Wissenschaftsjournalist und Demographie-Experte Björn Schwentker (Bild: Schwentker)

Hamburg, 26. Mai 2011 – Der Wissenschaftsjournalist und Diplom-Physiker Björn Schwentker ist seit 2005 freiberuflich tätig und verfasst regelmäßig Beiträge u.a. zum Themenschwerpunkt Demographie für überregionale Medien, wie DIE ZEIT oder DIE FRANKFURTER ALLGEMEINE. 2007 leitete er als verantwortlicher Redakteur das Ressort Wissen der ZEIT ONLINE und war Lehrbeauftragter an der Universität Göttingen. rebequa sprach mit Schwentker über den demographischen Diskurs und den letzten Lebensabschnitt.

Sie haben in zahlreichen Beiträgen aufgezeigt, dass viele Informationen über die demographische Entwicklung fragwürdig oder gar falsch sind und dafür den Peter Hans Hofschneider Recherchepreis erhalten. Was ist Ihre Motivation?

Entscheidungen angesichts des demographischen Wandels dürfen, ob in Politik oder Wirtschaft, nicht auf Grundlage falscher Informationen fallen. Neben verlässlichen Daten brauchen wir ein solides Verständnis vor allem bei Entscheidern. Unsicherheit wegen fehlender oder falscher Information schürt Angst und führt zu unüberlegten Handlungen.

Was sagen Sie zu den aktuellen statistischen Aussagen über die demographische Entwicklung, die von staatlichen Stellen und Instituten verbreitet werden?

Die grundlegenden Daten stimmen, aber die Interpretation ist fragwürdig. Beispiel: Steigt die Lebenserwartung? Ja. Steigt damit auch der „Altenquotient“ dauerhaft (Anzahl der Einwohner ab 65 geteilt durch Anzahl der 15-64-Jährigen, Anm. d. Verf.)? Ja, aber nur, wenn man fälschlich weiterhin annimmt, dass man mit 65 plötzlich „alt“ ist – wie auch schon vor hundert Jahren. Die Alten von heute sind aber viel gesünder als damals.

Ein Kind, das heute geboren wird, hat beste Chancen, hundert Jahre alt zu werden. Welche Vorteile hat eine „Gesellschaft der Hundertjährigen“?

Mit Blick auf ein Jahrhundert, in immer größeren Teilen gesund durchlebt, lässt sich die Lebenszeit so auf Arbeit, Freizeit und Familie verteilen, dass nichts zu kurz kommt und die wirtschaftliche Produktivität dennoch stark bleibt. Dies setzt jedoch Änderungswille voraus: Etwa zu neuen Arbeitsmodellen oder einer verbesserten Arbeitsfähigkeit bis ins hohe Alter.

Viele Wissenschaftler sehen im demographischen Wandel eine Bewährungsprobe für Gesellschaft und Wirtschaft. Die Wirtschaft sieht in den über 65-Jährigen vor allem Millionen von Käufern. Wie sehen Sie den letzten Lebensabschnitt?

Die starken Babyboomer-Jahrgänge sind sicher als Kunden attraktiv. Das Denken in Lebensabschnitten sollten wir aber überwinden. Es orientiert sich an künstlichen Altersgrenzen. Das Bild vom „Ruhestand“ wird sich auflösen; über unsere heutige Vorstellung eines fixen Rentenalters werden unsere Kinder lachen.

Länger leben und dabei gesund bleiben ist ein Menschheitstraum. Sie erwähnten vorhin, dass die Alten von heute viel gesünder sind als damals. Womit läßt sich diese Aussage belegen?

Demographen können das an der Entwicklung der Mortalität ablesen, also der Wahrscheinlichkeit, in einem bestimmten Alter zu sterben: Sie sinkt für die hohen Altersklassen derart, dass sich der gesamte Alterungsprozess nicht etwa verlangsamt, sondern komplett in ein immer höheres Alter aufschiebt. Wir bleiben also länger jung. Der Zugewinn an Lebenserwartung geht damit heute – statistisch gesprochen – auf das Konto der immer gesünderen Alten.

Die Forderung nach einer Rente mit 69 oder gar erst 70 macht die Runde. Im Jahr 2009 arbeiteten die Deutschen im Schnitt bis etwas über 62 Jahre. Die meisten Europäer verabschieden sich bereits mit gut 61 vom Arbeitsleben. Wie ist Ihre Position?

Es gibt kein ideales Renteneintrittsalter, weil im Alter die Leistungsfähigkeit und Motivation stark variieren. Die Staaten werden vermutlich zu Formeln finden, die das Rentenalter dynamisch mit der steigenden gesunden Lebenserwartung anheben. Sie täten gut daran, flexible Spielräume zu lassen. Jeder sollte auch im hohen Alter noch arbeiten dürfen. Dies ist in vielen Bereichen bisher nicht möglich.

Sie plädieren in einem aktuellen Essay für eine Umverteilung der Arbeit zugunsten der Erwerbstätigkeit Älterer. Welche Anforderungen stellt dies an die Wirtschaft?

Sie muss sich gezielt mit den Bedürfnissen und Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter beschäftigen, um sie auch im Alter optimal zu motivieren. Die Wirtschaft muss lernen, in jedem Alter in großem Stil weiterzubilden, die richtigen Arbeitsbedingungen zu schaffen und eine Team-Kultur zu etablieren, in der sich die Vorzüge von Jung und Alt ergänzen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schwentker.

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(Zeichen mit Leerzeichen: 4.630)

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