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Das demographische Gewicht

Interview mit Demographie-Berater Bernd-Lothar Heintzschel über Personalarbeit gestern und heute

Demographie-Berater Bernd-Lothar Heintzschel

Demographie-Berater Bernd-Lothar Heintzschel

Früher hat der 66-jährige Diplom-Volkswirt und langjährige Unternehmensberater Bernd-Lothar Heintzschel ältere Mitarbeiter „outgeplaced“. Heute wirkt er im Rahmen des rebequa-Programms als „Demographie-Berater NRW“ und unterstützt Unternehmen in OWL beim demographiefesten Personalmanagement. Wir haben mit ihm über Erfahrungen und Perspektiven der Personalarbeit gesprochen.

healthpro: Herr Heintzschel, vor drei Jahren sind Sie in den Ruhestand gegangen – nach 35-jähriger Berufstätigkeit in Führungsfunktionen. Was hat Sie bewogen, „Demographie-Berater NRW“ zu werden?

Wissen Sie, nach einer kurzen Erholungsphase habe ich mich schwer damit getan, den so genannten „Ruhestand“ oder den Übergang in die „andere Generation“ zu akzeptieren. Ich wollte noch immer etwas tun, wollte angesichts wachsender Arbeitsmarktprobleme und HARTZ IV meine Kenntnisse und Erfahrungen einbringen! ... Gerade mit  Personal-Outplacement hatte ich mich doch Jahre lang beschäftigt.

Mit 66 Jahren ist also noch lange nicht Schluss! Sie haben sich dann für eine Weiterbildung zum Demographie-Berater entschlossen?

Nicht ganz. Zuerst habe ich eine Weiterbildung zum EFI-seniorTrainer gemacht. EFI steht für Erfahrungswissen für Initiativen und ist ein Programm der Bundesregierung. Seit zirka 1,5 Jahren berate ich nun als seniorTrainer Initiativen ehrenamtlich, z.B. Beschäftigungsgesellschaften. Und ich helfe bei der Integration von Langzeitarbeitslosen in den ersten Arbeitsmarkt.

Was haben Sie davor gemacht? Welchen Bezug haben Sie zum Raum Ostwestfalen-Lippe und zu KMU?

1977 kam ich von Unilever in Hamburg zu Melitta in Minden. Seit dem wohne ich in Bad Oeynhausen und habe dort Wurzeln geschlagen. Für Melitta war ich über 10 Jahre als Administrationsleiter tätig. Mit Ausnahme von Zulieferern hatte ich da aber keine großen Kontakte zum Handwerk oder KMU. Als ich dann später nach Düsseldorf kam und in die Beratung eingestiegen bin, hat sich das geändert. Dort habe ich mich während der folgenden acht Jahre sehr stark mit mittelständischen Unternehmen beschäftigt, durch Melitta vor allem in der Lebensmittelindustrie. Filialisten, Filialsysteme und Franchising, z.B. Bäckereien gehörten unter anderem zu meinem Aufgabengebiet. Als Berater habe ich aber auch für die Treuhand so genannte Beschäftigungsgesellschaften in der Braunkohleindustrie mit aufgebaut. In der Regel habe ich national gearbeitet.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Betrieben in Sachen nachhaltiger Personalarbeit gemacht?

Früher haben Unternehmen die Personalarbeit und -entwicklung in mittelständischen Unternehmen stiefmütterlich behandelt. Personal einzustellen und zu entlassen – das war ja Chefsache. Und das lief dann sehr oft ohne gründliche Planung und Vorbereitung ab. Personal war in erster Linie Kostenfaktor. Das Bewusstsein, dass ein Mitarbeiter eine Investition ist und grundsätzlich als strategischer Faktor behandelt werden muss, das ist erst in der letzten Zeit gewachsen.

Gab es damals schon besondere Karriereplanungen für ältere Mitarbeiter, wurden etwa Workshops zur Laufbahngestaltung ab 45 angeboten?

Nein, eine Nutzenbetrachtung für Ältere hat man gar nicht erst angestellt. Auf Veränderungen im Markt wurde reagiert, indem man ältere Mitarbeiter entließ und nach neuem Nachwuchs schaute. Keiner hat sich Gedanken darüber gemacht, was an Wissen aufgegeben wird. Es hatte sich das Vorurteil etabliert, ältere Mitarbeiter lernen nicht mehr, arbeiten langsamer und sind nicht mehr so kreativ. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt führte auch dazu, die Alten früher abzuschreiben. Dabei wusste jeder Personalexperte, dass neue Kräfte auch erst einmal ausgebildet werden müssen!

Hätten Sie vielleicht ein Beispiel?

In der EDV ist man irgendwann an einem Punkt gekommen, wo man keinen Nachwuchs mehr hatte und die älteren EDV-Leute alle „outgeplaced“ waren. Ich erinnere an den Einsatz von SAP. Die Software hat die gesamte Informationswelt verändert. Jeder Kandidat wurde gefragt, ob er SAP-Kenntnisse besitze. Man kam gar nicht hinterher, die entsprechenden Leute auszubilden. Und die richtigen Programmierer, die jahrelang in bestimmten Programmiersprachen gute Arbeit geleistet haben, waren plötzlich nicht mehr notwendig. Aber anstatt sie umzuschulen, wurden Sie entlassen.

Gibt es ähnliche Probleme bei mittelständischen Unternehmen im Handwerk?

Mittelständische Unternehmen wollen auf der einen Seite die Wettbewerbssituation und den Kostendruck verbessern, auf der anderen Seite aber politisch geförderte Ansätze nutzten, also Vorruhestand und Altersteilzeit. Im Nachhinein meine ich, dass gerade die mittelständischen Unternehmen sich damit keinen Gefallen getan haben. Sie haben große Potenziale vernichtet: Erfahrungen in der Teamarbeit, Führungswissen, Kenntnisse der Ausbildungssituation etc. Das berühmte Meister-Gesellen-Azubi-Verhältnis wurde durch diese Situation stark beschädigt.

Können Sie das näher erläutern?

Das Renteneintrittsalter ist ja immer weiter abgesenkt worden, auch vor dem Hintergrund, dass Ältere immer schwerer Jobs gefunden haben. Gleichzeitig findet der Einstieg ins Berufsleben immer später statt, insbesondere bei Akademikern. Das berufliche Lebensalter ist also kürzer geworden. Hier hat man eine Fehlinvestition eingeleitet: Um für junge Leute Arbeitsplätze zu schaffen, wurden ältere Arbeitnehmer mit der Unterstützung entsprechender Sozialfonds in den Ruhestand geschickt. Damit war wichtiges Erfahrungs- und Wissenspotenzial weg!

Und dabei liegt auf den Feldern der Qualitätssicherung oder im Service das innovative Potenzial für ein Unternehmen! Überlegen Sie mal, welch wertvolles Wissen allein bei der Fehleranalyse und -behebung entsteht! Oder im Servicebereich! Das sind Punkte, wo ich heute sage: OK, dass ist falsch gewesen.

Verstehe ich Sie also richtig: Sie haben vor gut zehn Jahren dabei geholfen, etwas einzuführen, was Sie jetzt am liebsten wieder rückgängig machen würden?

Das ist richtig! Das ist auch der Hintergrund meines Einstiegs in die ehrenamtliche Tätigkeit als „Demographie-Berater NRW“.

Sie haben die Umorientierung angedeutet. Sie werden ja jetzt zum „Demographie-Berater NRW“ weitergebildet. Welche Chancen sehen Sie generell für die Beratung von KMU hier im Raum Ostwestfalen-Lippe?

Die demographische Entwicklung stellt mittel- und langfristig eine große Herausforderung dar und fordert von kleinen und mittelständischen Unternehmern vorausschauendes Handeln. Gerade auch, weil der Arbeitsmarkt immer komplexer wird und der hohe Regulierungsgrad vom Unternehmen schwierige personalpolitische und -planerische Entscheidungen verlangt. Der Demographie-Berater kann Unternehmen für Chancen sensibilisieren und bei der Umsetzung unterstützen.

Wo sehen Sie denn den Handlungsdruck im Unternehmen, der speziell durch demographische Entwicklungen ausgelöst wurde?

Handlungsbedarf sehe ich vor allem auf drei Feldern: erstens bei der Gestaltung von Mitarbeiter-Qualifikation. Wer soll künftig wie weitergebildet werden? Zweitens bei der gezielten Nachwuchsrekrutierung für alle Positionen. Wir haben schon jetzt in einigen Gewerken das Problem, dass häufig nicht genügend Fachkräfte vorhanden sind. Und drittens muss beachtet werden, dass sich auch der Markt im Hinblick auf die demographische Situation geändert hat. Es werden andere Produkte zu entwickeln sein, es wird ganz andere Beratungsleistungen geben müssen - von den Unternehmen für die Kunden.

Und welche Aufgabe stellt sich vor diesem Hintergrund für Demographie-Berater? Was kann ein Demographie-Berater konkret tun?

Als Demographie-Berater kann ich einzelnen Betrieben Anhaltspunkte für neue Unternehmensstrategien und personalpolitische Maßnahmen geben. Ich beziehe die demographische Entwicklung im Betrieb vor Ort mit ein und bilde diese Entwicklung in einer Strukturanalyse ab. Ich kann zeigen: Wo liegen die Chancen der neuen demographischen Situation für das Unternehmen? Und im Wesentlichen: Wo liegen die Risiken – darum geht es ja meistens!

Sie haben vorhin von Bäckereien gesprochen. Welche personalpolitische Maßnahme halten Sie für eine Bäckerei mit 5-15 Mitarbeitern in Zeiten des demographischen Wandels für geboten? Wie kann ein solcher Betrieb seinen Personalstand auch in schwächeren Regionen zukunftsträchtig weiterentwickeln?

Auch oder gerade in kleineren Unternehmen kann die Entwicklung nur dahin gehen, dass man mehrere Instrumente zu einem System gestaltet. Das heißt, wir müssen gleichzeitig über neue arbeitswissenschaftliche Methoden, alternative Arbeitszeitmodelle oder Fragen der Wissens- und Erfahrungsweitergabe sprechen. Nehmen Sie das Beispiel der Nachfolgeregelung. Die ist in vielen kleineren Unternehmen heute schon ein Riesenproblem, weil sie nicht rechtzeitig klar und deutlich geklärt wird. Der Inhaber vernachlässigt viel zu häufig die Nachfolgepolitik.

Sie heben den Wissenstransfer heraus. Wie stellt man aber sicher, dass das Wissen von älteren an junge Mitarbeiter weitergegeben wird und „der Ältere“ sich trotzdem noch neuen Technologien öffnet?

Es gibt viele Möglichkeiten: Job-Rotation- und Job-Enrichment-Systeme müssten viel mehr eingesetzt werden! Die sind in ihrer Entwicklung einfach und nützlich, durchaus auch in kleineren Betrieben. Warum sollte der Schlosser nicht auch einmal im Verkauf tätig werden? In Bäckereien machen es vor allem die Bäckerfrauen vor: Am Morgen steht sie im Laden und verkauft die Brötchen nachmittags macht sie die Buchhaltung.

Sehen Sie besondere Möglichkeiten für KMU? Wie können diese sich im Wettbewerb durchsetzen?

Kleine Unternehmen haben den Vorteil, dass viele Leute vieles können! Diesen personellen Unterschied sollte man gegenüber spezialisierten Tätigkeitsfeldern in großen Unternehmen ausbauen. Dazu muss man allerdings die Arbeitsplätze sorgfältiger mit Personalförderungs-, Ausbildungs-, Entwicklungsmaßnahmen ausgestalten.

Was können kleine und mittelständische Unternehmer noch tun?

Nehmen Sie die Stellvertreterfrage, die in den meisten kleinen und mittelständischen Unternehmen überhaupt nicht gelöst ist. Der Chef macht alles, er muss morgens einspringen und abends ist er der Letzte, der das Haus verlässt – nur weil er den anderen zu wenig zutraut. Auch für Unternehmer von KMU sind Führungs- und Managementmethoden relevant. Warum nicht einmal mit Zielvorgaben und genauen Stellenbeschreibungen arbeiten?

Das klingt so, als sei die demographische Entwicklung für ein Umdenken in der Personalpolitik verantwortlich?

All das sind Fragen, die unter dem besonderen demographischen Gewicht deutlicher hervortreten. Auch KMU müssen sich fragen, ob sie alle Gruppen im Unternehmen, also Jung und Alt, Frauen wie Männer, Deutsche wie Ausländer gezielt fördern. Wenn Betriebe die Unterschiede in ihrem Personalstand produktiv machen – Stichwort managing diversity –, dann erreichen sie aus der Organisation heraus eine bessere Wirtschaftlichkeit und höhere Effizienz!

Herr Heintzschel, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch!